malina verschwindet
20231010
Am Ufer der Donau in Wien beichtete eine Frau, so gelesen, nicht alt, noch jung, in den Fluss hinein. Für jeden falschen Schritt, jeden Laut, jede Nicht-Verortung, jede Bewegung und jedes Schwenken ihres Kopfes zu viel oder zu wenig, jedes Mal wenn sie den schmalen Grad verließ oder zu lange oder zu kurz verweilte, jedes Mal, wenn sie es runter brach, also sich oder Andere, immer die Anderen, vor den Anderen oder jedes Mal vor sich selbst, dann ging durch sie in der Erinnerung, welche schon gar keine mehr sein konnte, weil sie es schon zu lange durchgekaut hatte, aus schwarzem Brot schon ein gärender Zuckersaft geworden war, ein Zucken. Dieses Zucken ließ ihre Hand in den Mantel greifen und eine Murmel herauszuholen, welche sie hineinwarf in den graugrünen Fluss. Das Brechen der sich stetig hebenden und senkenden Haut machte sich ihr nur durch das Geräusch merklich und ging schließlich in ein großes Rauschen über. Die gläsernen Kugeln traten in den Körper, welcher sie verschlang, weiter reichte, weiter reichen musste und in welchem sie schließlich verschwanden. Einige Zeit stand sie so dort, die Sonne ging auf und unter, Tage, Monate, Jahre vergingen, während sie sich die Zähne bis zu den Knochen kaute, über den ziehenden Schmerz hinaus bis zu jenem Tage, da die Murmeln nicht mehr fortzogen, sie sich zu einer glänzenden, kullernden Masse gehäuft hatten und das Wasser aufreißen ließen, welches nun langsam über das Ufer trat, in die Schuhe der so Gelesenen, den Hosenbund hinauf krabbelnd, hoch zu ihrer Scham, bis es sie schließlich gen Osten trug.